„Der See ist fertig. Aber das Baden und Segeln ist noch verboten.“ Thomas Zenker zeigt in Richtung des ungenutzten Hafenbeckens von Großräschen. Die Einweihung im Mai 2019 war ein Höhepunkt seiner Amtszeit als Bürgermeister. Jetzt ist er leicht genervt, dass es immer noch keine Freigabe für den Wassersport gibt. Weil zuletzt zu wenig Regen fiel, wird der endgültige Wasserstand wohl erst 2026 erreicht, sechs Jahre später als geplant.
Zenker steht im IBA-Studierhaus, wenige Hundert Meter vom See entfernt, und berichtet dem Team indeland davon, wie der Strukturwandel seine Stadt verändert hat. Die Mitarbeitenden der indeland GmbH und die Strukturwandel-Fachleute der Städte und Gemeinden rund um den Tagebau Inden sind zwei Tage zu Gast im Lausitzer Seenland zwischen Cottbus und Dresden. Sie wollen sich aus erster Hand über die Erfolge und Probleme der Umgestaltung der dortigen Tagebau-Folgelandschaft informieren.
Als Zenker 1994 erstmals ins Amt gewählt wurde, lebten in der Stadt Großräschen rund 12.500 Menschen. Heute sind es nur noch 8.500, ein Drittel weniger. „Der Strukturwandel und die Deindustrialisierung nach der Wende 1989 waren hart. Wir hatten hier zeitweise eine Arbeitslosigkeit von 50 Prozent“, erzählt er und beklagt einen „großen Verlust an Humankapital“. In den Neunzigerjahren seien viele junge Menschen und hoch qualifizierte Arbeitskräfte abgewandert.
„Es gab in der Lausitz eine große Depression. Doch der landschaftliche Wandel hat dazu geführt, dass die Menschen neue Hoffnung schöpften“, sagt Rolf Kuhn. Der Städteplaner und Ex-Bauhaus-Chef hat die von der Braunkohle hinterlassene Mondlandschaft im Lausitzer Revier zu einer von Seen geprägten Kulturlandschaft umgebaut. Zusammen mit Zenker und anderen Mitstreitenden hat er im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Fürst-Pückler-Land von 2000 bis 2010 in der Lausitz zahlreiche Projekte initiiert, die den Menschen dort Mut machten, die eigene Zukunft aktiv mitzugestalten. Davon will sich das Team indeland inspirieren lassen.
Spektakuläre Landmarken
Mit dem Bus geht es zunächst zur vielleicht spektakulärsten Sehenswürdigkeit im Lausitzer Revier, der ehemaligen Abraumförderbrücke F60, die zur Zeit ihres Betriebs in den Neunzigerjahren die weltweit größte bewegliche Maschine war. Der gut 500 Meter lange und 80 Meter hohe Gigant der Technik wird auch der „liegende Eiffelturm der Lausitz“ genannt und ist seit Anfang der Nullerjahre zu einer echten Touristenattraktion geworden. 60.000 Besucher kommen jedes Jahr hierher.
Die Gäste aus dem indeland lassen solche Zahlen aufhorchen. Denn auch im Rheinland gibt es die Idee, anhand eines Schaufelradbaggers oder Absetzers die Geschichte des Braunkohletagebaus im Rheinischen Revier lebendig zu halten. Eine solche Anlage könnte etwa im Rahmen der Internationale Bau- und Technologieausstellung (IBTA) für das Rheinische Revier geplant und eingerichtet werden.
Wo ein solches Großgerät einmal stehen könnte, wird bereits diskutiert. Aber auch die Fragen zum laufenden Unterhalt des Kolosses und des Museumsbetriebs eines Museums sind zu klären. Immerhin: Ein kostendeckender Betrieb wäre naheliegend, da man durch die Nähe zu den großen Ballungszentren in Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden wohl mit mehr als 60.000 Besucherinnen und Besuchern pro Jahr rechnen könnte.
Regionale Identität
Im Rahmen der IBA sind in der Lausitz zahlreiche weitere Landmarken entstanden. Das Team von Rolf Kuhn legte Wert darauf, möglichst viele der markanten Industrieanlagen zu erhalten. Das Erlebnis-Kraftwerk in Plessa, die Biotürme in Lauchhammer, die Gartenstadt Marga inmitten der einstigen Industrielandschaft zwischen Großräschen und Senftenberg – sie alle stiften der ostdeutschen Strukturwandelregion bis heute eine einzigartige regionale Identität.
Auch eine neue Landmarke ist im Lausitzer Seenland entstanden: Seit 2008 bietet sich vom 30 Meter hohen Aussichtsturm „Rostige Nagel“ am Somoer Kanal einen fantastischen Rundblick auf umliegende Landschaft. Die einst von der Schwerindustrie gezeichnete Region glänzt heute mit 15 Seen. Die sind zwar mehrheitlich noch nicht in Betrieb, aber dennoch schon heute ein Touristenmagnet.
Der 2012 gegründete Tourismusverband Lausitzer Seenland e. V. zählte vor der Coronapandemie rund 9,4 Millionen Aufenthaltstage und 834.900 Übernachtungen in der Region. Mindestens 20,60 Euro lässt jeder Gast pro Tag in der Region. 2019 summierten sich die touristischen Einnahmen auf 122,1 Millionen Euro. Die positive Entwicklung zeigt sich auch in den Beschäftigungseffekten: Für rund 6.370 Menschen in der Lausitz bringt der Tourismus ein durchschnittliches Einkommen von 19.168 Euro.
Tourismus als Wirtschaftsfaktor
Das regionale Vorzeigeprojekt ist der Senftenberger See. Er entstand bereits Anfang der Siebzigerjahre durch die Flutung des Tagebaus Niemtsch und seine Badestrände sind heute ein beliebtes Ausflugsziel. Bewirtschaftet wird er vom Zweckverband Lausitzer Seenland Brandenburg, der die gemeinsamen Interessen seiner Verbandsmitglieder – ein Landkreis, zwei Städte, drei Gemeinden – vertritt und alle Entscheidungen koordiniert, die im Verbandsgebiet im Rahmen der Bergbausanierung anfallen.
Verbandsvorsteher Detlev Wurzler informierte über die besonderen Herausforderungen, die der Betrieb der Seen und der Aufbau der Infrastruktur mit sich bringen. Zu den aktuellen Projekten zählen etwa die Errichtung der wassertouristischen Basisinfrastruktur in der Sedlitzer Bucht, die Neugestaltung der Waldpromenade im Familienpark Großkoschen sowie die ÖPNV-Anbindung des Großräschener Sees in Richtung der Zentren Berlin, Dresden und Leipzig.
Rund 130 Menschen arbeiten für den Zweckverband, der bei Bedarf auch hoheitliche Aufgaben für die Verbandsmitglieder übernimmt. Von der unsicheren Freigabe einiger Seen und den bürokratischen Verfahren fühlen sich Wurzler und sein Team zuweilen ausgebremst.
Ein Vertreter des Büros des Lausitz-Beauftragten in der Staatskanzlei des Landes Brandenburg und Mitarbeitende im Büro des Braunkohlenausschusses des Regionalen Planungsverbands Oberlausitz-Niederschlesien erläuterten später die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen des Strukturwandels in der Lausitz.
Geotechnische Herausforderungen
Die Herausforderungen, vor denen das Lausitzer Seenland steht, betreffen nicht nur den niedrigen Wasserstand, sondern auch die Wasserqualität und die Stabilität der Böschungen. Weil es an frischem Flusswasser mangelt, erhöht sich der Anteil der Schwefelsäure aus dem Grundwasser. Um den Säuregehalt des Wassers auszugleichen, leitet die staatliche Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) tonnenweise Kalk in die Seen ein. Die LMBV ist für die Sanierung der im Zuge der Wiedervereinigung stillgelegten Braunkohletagebaue zuständig und bezeichnet sich selbst als „Seenmacher“.
Oberster Tagebausanierer in der Lausitz ist Gerd Richter. Der Bergbauingenieur, der im engen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen der RWE Power steht, betont, dass viele der Lausitzer Probleme im Rheinland nicht zu erwarten sind: „Die geologischen Voraussetzungen und damit die geotechnischen Aufgaben sind im Rheinland vollkommen anders“, erklärte er. So seien die Gruben in Westdeutschland sind zwar deutlich tiefer, aber die Böden auch lehmiger und damit standfester. In der Lausitz hatte der sandige Boden zuletzt immer wieder zu Rutschungen geführt. Die Gelände-Abbrüche führen dazu, dass große Bereiche der Uferböschungen nachsaniert werden müssen, zum Teil mit bis zu 40 Meter tiefen Sprengverdichtungen.
Kompetenzbrücke indeland – Lausitz
Mit dem Besuch bei den Partnern im Osten belebt die indeland GmbH die „Kompetenzbrücke indeland – Lausitz“ wieder, über die es bis zur Coronapandemie bereits einen regen Austausch zwischen den beiden Kohleregionen gab. Der gewinnt nun wieder an Bedeutung, denn in wenigen Jahren beginnen im Zuge der Seeentstehung auch rund um den Tagebau Inden verschiedene Baumaßnahmen.
Für die Strukturwandelmangerinnen und -manager aus dem indeland war die Exkursion in die Lausitz ein wichtiger Meilenstein, um die eigenen Ideen und Pläne besser einschätzen zu können. Was bedeutet die Bewirtschaftung eines Sees konkret? Welche Voraussetzungen braucht es für den erfolgreichen Betrieb eines Strandbads? Wie hoch wird die Nachfrage nach Bootsliegeplätzen wirklich sein? Wie stellen wir sicher, dass die im indeland lebenden Menschen die Entwicklung effektiv mitgestalten können und zukünftig bestmöglich davon profitieren? In der Lausitz hat das Team indeland mögliche Antworten auf diese und weitere Fragen sammeln können.
Mit dabei waren das Team der indeland GmbH, indeland Tourismus e. V. und die Mitglieder des Teams indeland aus den indeland-Kommunen Gemeinde Aldenhoven, Stadt Eschweiler, Gemeinde Inden, Stadt Jülich, Gemeinde Langerwehe und Stadt Linnich.